Zentrum und Peripherie bei den Hospitalsorden im Spätmittelalter

Zentrum und Peripherie bei den Hospitalsorden im Spätmittelalter

Organisatoren
Deutsches Historisches Institut (DHI) in Rom
Ort
Rom
Land
Italy
Vom - Bis
16.06.2005 -
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Von
Kordula Wolf, Humboldt-Universität zu Berlin

Am 16. Juni 2005 veranstaltete das Deutsche Historische Institut (DHI) in Rom eine Giornata di Studi zum Thema "Zentrum und Peripherie bei den Hospitalsorden im Spätmittelalter / Centro e periferia negli ordini ospedalieri nel tardo medioevo". Die Organisatoren ANDREAS REHBERG (DHI, Rom) und ANNA ESPOSITO (Universität La Sapienza, Rom) hatten eine Reihe von Fachexperten eingeladen, um den wissenschaftlichen Austausch und eine komparative Betrachtung verschiedener, vor allem Struktur und Organisation betreffender Aspekte der Hospitalsorden anzuregen. Diesem Vorhaben einer vergleichenden, über die Hospitalsorden hinausgehenden Perspektive entsprachen die Veranstalter durch die Einbeziehung von Beiträgen über Ritterorden, die in mehrfacher Hinsicht das Vorbild für die Entstehung von Hospitalsbruderschaften gaben. Zentrales Fallbeispiel bildete der Heilig-Geist-Orden in Rom (S. Spirito in Sassia). Eingebettet war der Studientag in die aktuelle Diskussion um Mobilität, Kommunikation und Institutionalisierung religiöser Orden im späten Mittelalter.

Nach einer Begrüßung durch den Direktor des DHI, MICHAEL MATHEUS, wurde der erste Teil des Studientages unter dem Vorsitz von ROBERTO RUSCONI (Rom) mit einem einführenden Vortrag von ANDREAS REHBERG (Rom) eröffnet, der das Anliegen der Giornata skizzierte. Anders als die ‚alten' Mönchsorden oder die Mendikanten seien die organisatorischen Strukturen der Hospitäler sowie das komplexe Verhältnis von Zentrum (meint hier das Hospital, von dem eine Ordensgründung ausging) und Peripherie (den Ordensfilialen) bisher nicht allgemein und vergleichend untersucht worden. Wie bei S. Spirito in Sassia fehlten auch bei anderen Hospizen wie St-Antoine-en-Viennois in Frankreich, S. Maria von Roncesvalles in Navarra oder S. Giacomo di Altopascio nahe Lucca detaillierte Informationen über die Quellenüberlieferung, die Rolle und Funktionen des Zentrums, den päpstlichen Einfluss, die Kontrolle der Peripherie, die weitgespannte Sammlung von Almosen (Quest), den Transfer der Finanzen und deren Verwaltung, die Ausbreitung der Hospitalsorden, das spirituelle Leben der Hospitaliter oder die Weitergabe medizinischen Wissens. Angesichts dieser und anderer nach wie vor ungenügend geklärter Fragen betonte Rehberg, dass die Giornata keine endgültigen Ergebnisse präsentieren wolle, sondern einen ersten Schritt zur Annäherung an ein äußerst komplexes Thema darstelle.

Wie ROBERT N. SWANSON (Birmingham) in seinem Beitrag zur Rolle ‚internationaler' Hospitalsorden im spätmittelalterlichen England zeigen konnte, war die Quest bis zur Reformationszeit das übliche Mittel bei der Verteilung von Ablässen und eine wichtige Einnahmequelle. Auch wenn die Überlieferungslage unzureichend sei und kaum endgültige Schlüsse zu Einzelproblemen zulasse, könne allgemein beobachtet werden, dass die in England ansässigen Hospitalsorden (in London St Mary of Bethlehem, St Antony of Vienne und St Mary of Roncesvalles; in Writtle Santo Spirito; in Great Thurlow S. Giacomo of Altopascio) ab circa 1400 unabhängig von den kontinentalen Mutterhäusern zu agieren begannen oder sich - zumindest zeitweise - ganz von der Insel zurückzogen. Aus englischer Sicht bildete der Kontinent somit nicht mehr das Zentrum, sondern die Peripherie. Ähnliche Tendenzen der Loslösung einzelner Priorate aus zentralisierten Klosterverbänden ließen sich auch bei anderen Orden wie den Cluniazensern, Prämonstratensern, Zisterziensern oder Lazaritern greifen. Swanson gab in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass es methodisch schwierig sei, international agierende Hospitalsorden über die Konzepte ‚Zentrum' und ‚Peripherie' zu definieren.

Dem römischen Heilig-Geist-Orden und seinen Niederlassungen in verschiedenen Teilen Europas war anschließend eine eigene Sektion gewidmet. MARIO SENSI (Rom) sprach über Filiationen in den Marken und in Umbrien. Wenngleich bekannt sei, dass der Orden über ein administratives Zentrum verfügte, welches sich um karitative Aufgaben wie Krankenpflege oder Aufnahme von Findelkindern kümmerte, fehlten bisher Hinweise auf weitere Einzelheiten. Wie Sensi unter anderem am Beispiel der Cerretani verdeutlichte, die als nuntii im Auftrag des Ordens in verschiedenen Gebieten Umbriens und der Marken für die Quest eingesetzt wurden, versprechen lokale Notariatsarchive hier neue Einsichten in die Praxis des Almosensammelns.

Verschiedene Aspekte des komplexen Verhältnisses von Peripherie und Zentrum rückte ANNA ESPOSITO (Rom) am Beispiel der sich seit Mitte des 15. Jahrhunderts verstärkenden Filiationsbildung des Heilig-Geist-Ordens in der Republik Venedig in den Blick. Ihr besonderes Augenmerk galt dem 1483 in Venedig gegründeten Frauenkloster S. Spirito, das wenig später auch zu einer Niederlassung des römischen Heilig-Geist-Ordens wurde. Die in diesem Fall gut dokumentierten Einzelregelungen zwischen dem venezianischen Kloster und der dazugehörigen Hospitalbruderschaft sowie gegenüber dem römischen Mutterhaus gewährten Einblicke in die liturgische, spirituelle und karitative Praxis, die ökonomischen Beziehungen und die Bindungen gegenüber Rom (unter anderem in Form jährlicher Tributzahlungen). Wie Esposito zeigte, war die Teilhabe an spirituellen Gütern durch Eintritt in die venezianische Heilig-Geist-Bruderschaft oder Erwerb von Indulgenzen eng an finanzielle Leistungen gebunden. Auch die Totenmemoria habe in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle gespielt.

FRANÇOISE DURAND (Montpellier) beschäftigte sich mit Niederlassungen des Heilig-Geist-Ordens in Frankreich. Im Mittelpunkt des Vortrages standen nicht die konfliktbeladenen Beziehungen des römischen Hospitals mit dem einstigen Ordenszentrum in Montpellier nach dem Tod des Gründers Gui de Montpellier, sondern die noch wenig erforschte Rolle der in der Bourgogne gelegenen Ordensfilialen Dijon und Besançon. Während beide Hospitäler, die ihrerseits weitere Filialen gründeten, im 13. Jahrhundert wohl zunächst zwischen den Häusern in Montpellier und Rom standen, stabilisierten sich die Beziehungen gegenüber Rom offenbar erst in der ersten Hälfte des 14. Jahrhundert. Wie die Einsetzung eines Rektors in Besançon und Dijon Anfang des 15. Jahrhunderts zeige, habe die durch Privilegien Papst Eugens IV. unterstützte Reform des Ordens zu einer Verstärkung des zentralisierenden Elements in der Peripherie geführt. Sixtus IV. stärkte ebenfalls das Mutterhaus in Rom.

Über die Rolle des Heilig-Geist-Ordens im Heiligen Römischen Reich sprach GISELA DROSSBACH (München), wobei sie sich auf den südwestdeutschen Raum beschränkte, der bis Mitte des 15. Jahrhunderts das einzige Verbreitungsgebiet des Ordens im deutschsprachigen Raum dargestellt habe. Die Vortragende vertrat die These, die Hospitalsgründungen in Wien, Stephansfeld, Memmingen, Neumarkt, Wimpfen, Markgröningen und Pforzheim gingen auf staufische Initiative oder Förderung zurück. Gründe dafür, dass diese nur ein ‚loses' Gefüge darstellten und im Unterschied etwa zu Besançon und Dijon erst spät Provinzen bildeten, lägen in der starken Zentrierung auf Rom, der weiten Distanz der Hospitäler voneinander und der Vergabe päpstlicher Sammellizenzen. Ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts zeichne sich ein verfassungsrechtlich und ordensgeschichtlich bedeutsamer Prozess ab - Drossbach nennt ihn ‚Kommunalisierung' -, der mit einer Klerikalisierung innerhalb des Ordens und einer Übernahme der eigentlichen Spitalpflege durch Laien einhergegangen sei. Die regionale Verbreitung des Ordens, so das Resümee, sei zu punktuell gewesen, als dass er das Bedürfnis nach christlicher Sozialfürsorge hätte abdecken können. Vielmehr seien die Hospitäler eine Verkörperung der Idee päpstlicher Karitas gewesen.

Unter der Leitung von GERT MELVILLE (Dresden) stand der zweite Teil der Giornata di Studi, der mit einer Sektion über Ritterorden begann. Auf den Orden vom Heiligen Lazarus zu Jerusalem, dessen Niederlassungen in weiten Teilen Europas überwiegend von heimgekehrten Kreuzfahrern gegründet worden waren, ging KAY PETER JANKRIFT (Münster) ein. Permanente Spannungen zwischen Zentrum und Peripherie hätten den Orden seit seiner Entstehung gekennzeichnet und schließlich zu seinem Untergang geführt. Eine Ursache seien u.a die großen Distanzen zwischen den Ordenshäusern gewesen, welche nicht nur den Austausch mit der Ordenszentrale (zunächst in Jerusalem, dann Acco, später Boigny nahe Orléans) behindert, sondern auch, wie Jankrift anhand von Frankreich, Capua und Sizilien verdeutlichte, zu einer ‚Anfälligkeit' gegenüber einer Beeinflussung durch weltliche Machthaber geführt hätten. Zumal eine Besonderheit der Lazariter darin bestand, hohe Ämter durch Leprosen zu besetzen, deren Mobilität eingeschränkt war. Seitdem das Amt des Ordensmeisters ab Mitte des 13. Jahrhunderts nicht mehr von einem Leprakranken bekleidet war, hätten nur noch wenige europäische Ordenshäuser über Einrichtungen zur Pflege Leprakranker verfügt, und das, obwohl sich einhergehend mit zunehmender Verstädterung die Lepra weiterhin ausbreitete. Die Lazariter seien im 14. Jahrhundert in eine unaufhaltsame Krise geraten, die möglicherweise durch die Konkurrenz ‚falscher' Almosensammler mitverursacht worden war.

Eine Einführung in die folgenden Beiträge über den Orden vom Hospital des heiligen Johannes zu Jerusalem stellten die Ausführungen von ROBERTO GRECI (Parma) dar. Er gab einen Überblick über Ergebnisse und Tendenzen der Johanniter-Forschung, ging auf die Entstehung und Ausbreitung des Ordens ein und wies auf unzureichend geklärte Fragen hin, die beispielsweise die militärischen und karitativen Aufgaben in den einzelnen Ordensniederlassungen oder den Einfluss lokaler Bindungen auf die Ordensstruktur und Provinzbildung betreffen.

GIULIANA ALBINI (Milano) richtete ihre Aufmerksamkeit auf den Aspekt des Reichtums des Johanniterordens. Die Prosperität der Ordenszentrale im Orient habe in engem Zusammenhang mit der Aufgabe des Ordens gestanden, das Heilige Land zu verteidigen. Den Niederlassungen im Okzident habe dagegen die Rekrutierung von nach Palästina zu entsendenden milites sowie die Sorge um Arme und Pilger oblegen. Nachdem die Johanniter zunächst ihren Güterbesitz stark ausdehnen konnten, hätten sie nach dem Verlust der Territorien im Heiligen Land 1291 verstärkt Finanzgeschäfte betrieben. Während das Zentrum in Jerusalem die Unterstützung des Königs von Jerusalem, der syrischen Kirche und einflussreicher Adelsfamilien genoss, seien in der Peripherie neben Quest und päpstlicher Protektion vor allem die Verbindungen zum lokalen Adel für den Reichtum des Ordens ausschlaggebend gewesen. Dieser allerdings habe im Kontrast zum Leben der Ordensgemeinschaften und zur Ordensregel gestanden, welche auf den drei Grundpfeilern Nächstenliebe, Gehorsam und Armut beruhte und Modell für spätere Hospitäler geworden sei.

Auf die Verbindungen zwischen Johanniterhäusern in der Peripherie und der lokalen Gesellschaft ging MARINA GAZZINI (Parma) in ihrem Beitrag unter dem Gesichtspunkt der spirituellen Leitideen ein. Am Beispiel der Priorate in der Lombardei, in Venedig und Pisa fragte die Referentin nach der Ausübung religiöser Funktionen und karitativer Aufgaben durch die Johanniter, über die bisher nur wenig bekannt sei. Trotz großer struktureller Unterschiede der einzelnen Niederlassungen scheinen sich die Aktivitäten der Johanniter nicht von anderen an der Augustinerregel orientierten Gemeinschaften unterschieden zu haben. Überdies sei eine Reihe von Tätigkeiten im nicht-liturgischen Bereich durch Brüder und Schwestern ohne Profess ausgeübt worden. Grundlegend bei der Zuweisung der Aufgabenbereiche sei eine Dreiteilung in clerici, milites und servientes gewesen, wobei deren Herkunft die kommunale Gesellschaft insgesamt widergespiegelt habe und nicht allein auf den Adel beschränkt gewesen sei. Anhand der beiden Niederlassungen in Parma zeigte Gazzini exemplarisch, wie sich Karitas, die Eingliederung in das gesellschaftliche und urbanistische Umfeld und lokale Heiligenverehrung im Wirkungsbereich der Johanniter miteinander verbanden.

Die letzten beiden Vorträge des Studientages wendeten sich wieder den reinen Hospitalsorden zu. ANDREAS MEYER (Marburg) nahm das an der Pilgerstraße Via Francigena in sumpfigem Gelände gelegene Hospital San Giacomo di Altopascio in den Blick. Der sich bald nach seiner Gründung in mehreren Teilen Europas ausbreitende Hospitalsorden von Altopascio war Mitte des 13. Jahrhunderts die vermögendste kirchliche Institution in der Diözese Lucca. Der Reichtum von Altopascio habe nicht allein auf ausgedehntem Grundbesitz, Finanzgeschäften und der Erhebung einer Gebühr für die Benutzung der Brücke über den Arnofluss bei Fucecchio durch Hirten und Händler basiert. Wie Meyer insbesondere für England zeigte, war die europaweit praktizierte und durch päpstliche Mandate unterstützte Quest ein lukratives Geschäft, wenngleich dieses durch Fälscher und die Konkurrenz auf dem Markt des organisierten Bettelns immer wieder gemindert zu werden drohte. Die Erträge seien vornehmlich für die Instandsetzung der Brücke, die Beherbergung und Verköstigung der Pilger im Hospital sowie für Unterhaltszahlungen der Bettelreisenden verwendet worden. Im Hinblick auf den Finanztransfer in die Toskana seien die Brüder von Altopascio - wie wenige Jahre später auch die Papstfinanz - eine ‚profitable Symbiose' mit italienischen Kaufleuten eingegangen.

Mit der Rolle von Laien im Dienst von Hospitalsorden beschäftigte sich schließlich RAFFAELA VILLAMENA (Perugia) am Beispiel der Cerretani. Anhand zweier unedierter Dokumente aus den Jahren 1315 und 1492 konnte sie zeigen, dass die Antoniter bereits sehr früh die Cerretani (Bewohner des in der Bergregion bei Spoleto gelegenen Ortes Cerreto) nicht nur für das Almosensammeln, sondern auch in der Güterverwaltung einsetzten. Die Cerretani wurden auf diese Weise zu einem wichtigen wirtschaftlichen Faktor innerhalb des Ordens. Beide Dokumente belegen darüber hinaus eine Verlagerung bestimmter Kompetenzen vom Zentrum in die Peripherie, denn 1492 war es nicht mehr der Abt der Ordenszentrale in St-Antoine-en-Viennois, sondern der Präzeptor in Venedig, der die Cerretani mit den genannten Aufgaben betraute.

In der Schlussdiskussion lenkte Gert Melville die Aufmerksamkeit noch einmal auf methodologische Aspekte, indem er sich kritisch mit Definition und Anwendbarkeit der Begriffe ‚Zentrum' und ‚Peripherie' auseinandersetzte. Wenngleich eine Inbezugsetzung der Ergebnisse der einzelnen Vorträge am Ende der Giornata di Studi wünschenswert gewesen wäre, zeichnete sich der Studientag insgesamt doch durch Detailtiefe, Facettenreichtum und weitreichende Fragehorizonte aus. Referenten und Diskutanten boten fruchtbare Anstöße für eine vergleichende Betrachtung der Hospitalsorden, die es in weiteren Studien auf jeden Fall zu vertiefen lohnt.


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